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Theater als Instrument für Bildung, Sensibilisierung und soziale Gerechtigkeit

Theater als Instrument für Bildung, Sensibilisierung und soziale Gerechtigkeit

    Seine Liebe zum Theater führte ihn zurück in die Slums von Delhi, wo er seine gesamte Kindheit verbrachte.

    Die Familie lebte damals in einem winzigen Raum von 12 Quadratmetern. Beide Eltern wie auch die Kinder, unabhängig ihres Alters, mussten zum Überleben der Familie beitrugen.

    Anand hatte schon als Fünfjähriger Jobs als ‚Plünderer und Wachmann‘. Später kamen Datenerfasser, Uber-Fahrer und Hotelangestellter hinzu. Er selbst konnte sich aus dem trostlosen Slumalltag, der durch Hunger und Gewalt überschattet war, durch das Theaterspielen ablenken.

    Er kennt die Schwierigkeiten der Slumkinder aus erster Hand und nutzt seine Erfahrungen mit dem Theater, um den Kindern zu helfen, Möglichkeiten jenseits der Slumrealität zu erkennen. Seine Initiative Anurvana (leuchtend hell) bietet mehr als nur Spaß. Sie öffnet die Tür zu einem Leben voller neuer Eindrücke und Lebensziele.

    Theater als Instrument für Bildung, Sensibilisierung und soziale Gerechtigkeit

    Im Jahr 2016 bekam ich das Angebot der Kutumbh Stiftung, an einem Theaterprojekt für Slumkinder mitzuwirken. Ich begann mit 30 Kindern, die Interesse und auch ein gewisses Talent mitbrachten.

    Leider kamen die Kinder nur sehr unregelmäßig, an manchen Tagen erschien nur ein einziges Kind. Obwohl sie sichtlich Spaß hatten und an Zuversicht gewannen, fragten wir uns, warum sie die Theaterausbildung nicht zu schätzen wussten? Wir suchten sie Zuhause auf, sprachen mit ihren Eltern, um uns ein Bild von ihrer Situation machen zu können.

    Die Eltern redeten Klartext: “Was haben sie denn davon, Theaterspielen zu lernen? Wir haben nicht einmal etwas zu essen! Zuerst müssen sie was in den Magen bekommen, dann können sie was lernen!”

    Genau so hätten vielleicht meine eigenen Eltern reagiert. Auch ich wuchs in bitterer Armut, mit einer sexköpfigen Familie in einem 12 Quadratmeter großen Raum im Slum auf. Das Wasser war knapp und Strom mussten wir illegal abzapfen.

    Mein Vater war Angestellter in einer Kupferdrahtfabrik und schuftete für ein mageres Gehalt. Meine Mutter arbeitete als Dienstmädchen, manchmal begleitet von meiner älteren Schwester. Während mein Bruder im Alter von 11 Jahren die Schule schmiss, um unterschiedlichsten Jobs nachzugehen, suchten meine Schwester und ich vor und nach der Schule im Müll nach wiederverwertbaren Gegenständen und nach weggeworfenen Malzeiten. Wir waren hungrig und daher mischten wir uns statt einer nahrhaften Suppe Manchmal nur Wasser mit Salz, um irgendwie unsere Mägen zu vertrösten.

    Wir waren Jung und hatten das Gefühl, dass das ganze Leben darauf ausgerichtet sei, etwas zu Geld zu machen. Und das wurde von allen ausgenutzt. So wurde ich gezwungen, mit fünf Jahren, einen älteren Mann sexuell zu befriedigen. Sexueller Missbrauch von Kindern ist in den Slums an der Tagesordnung. Doch da wir nur Kinder des Slums sind, bleiben Übergriffe oft unerwähnt.

    Später wurde die Fabrik, in der mein Vater arbeitete, geschlossen. Für viele war das eine Katastrophe, aber für uns eröffnete sich eine neue Möglichkeit.
    2004 zogen wir nach Khan Market, ein anderes Viertel in Delhi um, eine gehobenere Gegend, in dem Bürokraten und Abgeordnete wohnten. Hier bekam mein Vater einen Job als Wachmann und meine Mutter arbeitete als Haushälterin bei einem der Bürokraten.

    Unsere Wohnung bestand nun aus einem 20 Quadratmeter Raum, was für uns ein ordentliches Upgrade darstellte. Nun, alle paar Jahre saßen wir allerdings für einige Monate wieder auf der Straße, wenn der Arbeitgeber meiner Mutter wechselte.

    Dann gab es einen wichtigen Wendepunkt in meinem Leben. Als ich etwa elf Jahre alt war, erlebte ich den Auftritt meines Freundes in einer Theatervorstellung. Ich weiß noch, dass ich das Stück erst nicht wirklich verstand aber als es zu Ende war, brach das Publikum in Begeisterungsstürme aus. In diesem Moment wusste ich, dass da etwas Großartiges geschah und in mir regte sich der Wunsch, selbst einmal auf einer Bühne zu stehen. Ich wollte in verschiedene Rollen schlüpfen und, ja ich wollte auch, wie mein Freund endlich einmal Anerkennung.

    Kinder in indischen Slums

    Eine NGO bot Workshops für Slumkinder an, darunter auch Theater. Und nur ein Jahr später übernahm ich meine erste Rolle in einem Theaterstück, das vor dem Obersten Minister aufgeführt wurde. Diese Erfahrung hat meine Begeisterung für das Theater noch verstärkt.

    Nach meinem Schulabschluss unterstützte ich meine Familie finanziell mit den unterschiedlichsten Jobs. Mal war ich Uber-Fahrer, mal Datenverarbeiter oder ich arbeitete in einem Hotel. Mein Vater hatte einen Teeladen eröffnet, den ich nach seinem Tod im Jahr 2021 übernahm.
    Trotz all dieser Jobs gab ich das Theaterspielen nie auf. Gemeinsam mit meinen Freunden betrieb ich eine Theaterproduktionsstätte. Da arbeiteten wir an Theaterstücken, Kurzfilmen und sogar Werbevideos für Unternehmen.

    Über die Jahre hat sich auch meine Zielsetzung geändert. Anerkennung und Applaus war nicht mehr so wichtig. Ich war auf der Suche nach der Person, die ich heute bin. Durch das Medium Theater habe ich Selbstvertrauen, Einfühlungsvermögen, Neugierde und ein geschärftes soziales Bewusstsein entwickelt. Theater wurde zu einem unschätzbaren Werkzeug für persönliches Wachstum und Selbstfindung erwiesen.

    Schon bald reichte mir aber das Theaterspielen allein nicht mehr aus, und ich begann, Theaterworkshops in verschiedenen Organisationen zu leiten, die sich unter anderem mit Themen der Slums auseinandersetzten. Es ging dabei um Kinderrechte, um die Stärkung der Rolle der Frau, um Abfall Management und um Schule. Die Reaktion der Eltern der Slumkinder hat mich sehr nachdenklich gestimmt. Natürlich hat für sie der Kampf ums tägliche Überleben Vorrang vor der Selbstfindung!

    Die Gespräche veranlassten mich, meine Organisation Anurvana zu gründen. Hier erwerben die Kinder praktische Fähigkeiten und gleichzeitig spielen sie Theater.

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