Es dauerte ganze 25 Jahre, bis Sherleen Tunai endlich akzeptierte, dass sie eine Person mit Albinismus ist. Sherleen wuchs in Kakamega, Kenia, auf. Sie sehnte sich danach, dazuzugehören und sie hasste ihr Aussehen. In sozialer Isolation, begann sie als Kind Kleidung für sich zu entwerfen und zu nähen. Denn sie wollte genauso hübsch aussehen wie ihre weißen, blonden Barbie Puppen. durch ihre neu gegründete Initiative Ana Antani (Ich gehöre dazu), möchte Sherleen andere Menschen mit Albinismus befähigen, sich gleich zu Beginn ihrer Jugend zu akzeptieren und mit Albinismus zu identifizieren.
Von Sherleen Tunai
“Sherleen, du hast Albinismus.” Es hat 25 Jahre lang gedauert, bis ich mir genau diese Worte im Spiegel zurufen konnte. Der Ausschlag gab ein Telefonat mit Ducton, meinem älteren Bruder. Er erinnerte mich an die Vergangenheit, die ich unbewusst aus meinem Gedächtnis verdrängt hatte. Als Kind fühlte ich mich einsam. Kinder liefen hinter mir her und riefen alle möglichen Namen: “mzungu!” (weißes Mädchen), “muindi!” (Inder) oder “jini!” (Geist). Der Satz, der mich aber immer zum Weinen brachte, war: “Kujeni muone! Hii ni ninil? Hii si mtu!” (Kommt und seht, was das ist. Das hier ist kein Mensch?!).
Ich hasste es, alleine von der Schule nach Hause zu gehen. Um mich zu verteidigen, trug ich immer einen Stock bei mir. Oh, ich war so bereit, jeden zu verprügeln, der hinter mir herlief und mich beschimpfte. Aber es brachte mir den Ruf ein, so etwas wie ein aggressives Tier zu sein. Für lange Zeit hatte ich keine Freunde, weil Kinder mich von ihren Verabredungen zum Spielen ausschlossen und ich hatte Angst vor Ablehnung. Sogar meine Geschwister schienen sich dafür zu schämten, mit mir gesehen zu werden. Sie fanden Ausreden, ich sei zu jung, um auszugehen, obwohl sie anscheinend kein Problem damit hatten, unseren jüngsten Bruder mitzunehmen.
Ich erinnere mich, dass sich auf meiner gesamten Haut durch Sonnenbrände verursachte Wunden gebildet hatten. Diese Wunden, da sie nicht behandelt wurden, fingen an übel zu riechen und ich wurde von Schwärmen von Fliegen verfolgt. Niemand wollte in meiner Nähe sein. Das war besonders schmerzhaft an Weihnachtsfeiertagen. Während meine Familie beisammen saß, saß ich allein im Hühnerstall.
Einmal, im Alter von fünf Jahren, fragte ich meinen Vater, warum ich anders war und anders aussah. Er sagte: “Oh, ich habe dich in London gekauft. Der Pilot hat dich auf dem Markt abgesetzt und ich habe dich dort aufgegriffen. Deshalb bist du mein weißes Mädchen.” Jahre lang hatte ich diese Geschichte geglaubt. Das Leben war einsam, bis mein Vater begann, mir Barbie-Puppen mitzubringen. Man stelle sich meine Aufregung vor, eine Puppe zu sehen, die mir in gewisser Weise fast ähnlich sah, hatte sie doch dieselbe Hautfarbe und fast die gleiche Haarfarbe! Leider trugen sie alle die gleichen langweiligen Kleider. Also habe ich zunächst einmal für meine Puppen Kleider entworfen und von Hand für sie genäht. Später wollte ich genauso hübsche Kleidung tragen und nun machte ich originelle Shirts und Hemden für mich.
Da ich nur ausgetragene Klamotten von meinen älteren Geschwistern hatte, schnitt ich sie auseinander und nähte sie auf eine andere, interessantere Weise wieder zusammen.
Es war im Jahr 2010, als die schrecklichen Nachrichten über Angriffe, Entführungen und Morde an Menschen mit Albinismus verbreitet wurden. Man wollte unsere Körperteile für Zaubertränke und über Nacht wurde eine Hand, ein Stück Haut oder Haare für teures Geld an Hexer verkauft, die wiederum ihr Geschäft mit abergläubischen Politikern oder gierigen Geschäftsleuten machten. Zu dieser Zeit beschloss mein Vater mich vor den Entführern zu schützen. Ich hatte striktes Ausgehverbot und durfte nur in der Schule oder zu Hause bleiben.
Da ich, wie viele Menschen mit Albinismus, an einer leichten Sehschwäche litt, schlug meine Schwester mir vor, an eine Blindenschule zu gehen. Dort sah ich zum ersten Mal ein anderes Mädchen mit Albinismus. Ich starrte sie die ganze Zeit an. Sie sah genauso aus wie ich. Als ich einen Jungen mit Albinismus sah, war ich verliebt.
Die High School war einfach, weil ich dazu gehörte. Niemand beleidigte oder verletzte mich mit spitzen Gegenständen, um nachzusehen, ob mein Blut grün wie bei einem Monster sei. Doch ich war schockiert, als ich zum ersten Mal auf ein Mädchen mit Albinismus traf, dass unter Hautkrebs litt. Sie hatte immer Schmerzen. Sie verließ die Schule und kam nie wieder.
Das Universitätsleben war schwieriger. Ich versuchte mich in der Campus-Politik, wurde aber im Internet gemobbt. Man nannte mich ein geschältes Schwein und ich gab auf, weil ich all der Feindseligkeit nicht standhalten konnte. Also engagierten wir uns, einige Freunde und ich, im Kampf gegen die Verfolgung von Albinos. Ich wähle den Begriff “Albino” mit Bedacht. Denn auch wenn er oft in beleidigender Absicht genutzt wird, ist er dennoch korrekt. Heute weiß ich, wie wichtig es ist, sich die Begriffe zurückzuerobern.
Wir entwarfen T-Shirts, mit originellen Sprüchen, um das Bewusstsein für Albinismus zu schärfen und später schlug meine Schwester vor, dass ich es mit der Fashion Industrie und speziell mit dem Modeln versuchen sollte, aber die Designer behandelten mich, als ob Albinismus eine ansteckende Krankheit sei. Also kehrte ich zu meiner Lieblingsbeschäftigung zurück: Das Designen und Anfertigen von Hemden, Jacken und Kleidern. Ich beobachtete, dass andere Albinos dazu neigen, sich zu isolieren. Wie ich, wachsen alle mit Angst vor Ablehnung auf. Und daher haben sie auch Angst, neue Ideen auszuprobieren. Die meisten von uns weigern sich einzugestehen, dass wir Albinismus haben und nichts dagegen tun können, als es zu akzeptieren.
Ich weiß wie es ist, wenn man sich nicht wohl fühlt in der eigenen Haut. Doch wir können uns und unser Aussehen nicht immer verleugnen. Ich versuchte mich im Fashiongeschäft, obwohl ich dort nicht akzeptiert wurde. Zu starr war die Stigmatisierung. Warum sich anpassen, wenn ich auch durchaus zu meiner Andersartigkeit stehen kann? Wir müssen uns von den Schönheitsnormen befreien. Wir müssen nicht alle wie Barbies aussehen. Wir sollten dazu übergehen, unsere eigenen Ansprüche an Schönheit zu entwickeln.
Mein Aufenthalt bei kanthari hat mich dazu gebracht, Albinismus in einem neuen Licht zu sehen. Es ist einfach ein Mangel an Melanin. Wir können alles erreichen, was wir uns vornehmen. Ich habe verstanden, dass ich Normen und Schönheitsstandards in Frage stellen darf.
Früher war ich versessen darauf, mich anzupassen. Heute akzeptiere ich mich so wie ich bin. Aus diesen Erkenntnissen werde ich jetzt handeln: Wir werden interessierte Personen mit Albinismus im kreativen Mode-Design schulen, und das mit folgenden Zielen:
- Fashion Design und Vermarktung und
- Förderung des Selbstvertrauens.
Ich glaube, dass das Bewusstsein sich kontinuierlich entwickelt.
Die Welt, die wir sehen wollen, ist eine Welt, in der Kinder nicht für ihr Aussehen und für ihre Andersartigkeit ausgeschlossen und gemobbt werden. Eine Welt, in der wir es wagen können, aufzufallen.