25.000 km und ein Fahrrad
In dieser Serie hören wir von den Teilnehmenden des Kurses 2025 und von den Menschen, die von ihren sozialen Initiativen profitieren. Mit gerade einmal 21 Jahren machte sich Pranali Chikte allein mit dem Fahrrad auf eine mutige Reise quer durch Indien – über 25.000 Kilometer. Mit großer Leidenschaft für Umwelt, Gesundheit und dem Glauben an die Kraft der Verbindung durchquerte sie Dörfer, Städte, Wälder und Berge. Sie machte auf Nachhaltigkeit aufmerksam und lernte von den Menschen, denen sie unterwegs begegnete. Pranalis Reise war nicht nur eine Frage der Strecke – sie öffnete Wege für andere, besonders junge Menschen, um zu entdecken, zu hinterfragen und zu wachsen. In dieser Geschichte erzählt sie, wie ein Funke auch bei einem Mitreisenden übersprang – bei Shubham.
Vom Dorfweg zur Lebenslektion: Shubhams Fahrradgeschichte
von Pranali Chikte
Dies ist die Geschichte eines jungen Mannes namens Shubham. Wir studierten an derselben Hochschule, doch er war jünger als ich. Wir trafen uns nie, da ich mein Studium beendete, bevor er dort anfing. Nach meinem Abschluss startete ich meine Soloreise mit dem Fahrrad durch Indien, um Bewusstsein für Umwelt und Nachhaltigkeit zu schaffen.
Shubham erfuhr erst nach meinem Studienabschluss von meiner Reise. Er war beeindruckt und nahm Kontakt zu mir auf. Aus einer bescheidenen Bauernfamilie stammend, war er eng mit der Natur verbunden und spürte schon früh eine tiefe Verbindung zur Umwelt. Er träumte davon, mit dem Fahrrad durch Maharashtra zu reisen, neue Orte zu entdecken und unterwegs zu lernen – aber er hatte niemanden, der ihn begleitete.
Als wir telefonierten, hatte er mich bereits in den sozialen Medien gefunden und meine Reisevideos angeschaut. Ich merkte schnell, wie neugierig und aufrichtig interessiert er war. Er hatte das Gefühl, dass wir ähnliche Ideen teilten und voneinander lernen konnten. Später trafen wir uns zum ersten Mal bei einem Programm in Chandrapur. Shubham lud mich in sein Dorf ein, und gemeinsam führten wir dort eine Veranstaltung mit Schulkindern durch. Ich war berührt von seinem Wissensdurst und seinem Wunsch zu wachsen – trotz fehlender Unterstützung in seinem Umfeld. Er hatte einen starken Willen, auszubrechen und Neues zu entdecken.
Ich begann darüber nachzudenken, wie viele gesellschaftliche Einschränkungen es auch heute noch für Mädchen gibt – besonders, wenn es darum geht, alleine unterwegs zu sein oder sich auf eine Reise zu begeben. Im Vergleich dazu ist es für Jungen oft einfacher, sich einfach aufs Rad zu setzen und loszufahren. Umso mehr freute ich mich zu sehen, dass Shubham – ein junger Mann aus einer ländlichen Region – tief nachdachte, Fragen stellte und das Leben außerhalb seiner gewohnten Umgebung verstehen wollte. Das machte mir Hoffnung.
Angeregt durch unsere Gespräche und das persönliche Treffen, machte sich Shubham selbst auf den Weg. Inspiriert durch meine Reise, entschied er sich, die historischen Festungen zu erkunden, die Chhatrapati Shivaji Maharaj in Maharashtra erbauen ließ. Eine nach der anderen fuhr er mit dem Fahrrad an – und lernte dabei nicht nur etwas über die Geschichte, sondern auch über sich selbst, über Menschen und über das Land, aus dem er stammt.

Während seiner Reise rief er mich oft an, erzählte von seinen Erlebnissen, von Herausforderungen und von den Erkenntnissen, die er unterwegs sammelte. Ich konnte ihm praktische Tipps geben – was man auf einer Fahrradtour mitnehmen sollte, wie man sicher bleibt, wie man mit Menschen unterwegs ins Gespräch kommt. Aber ich gab ihm nicht alles vor – es ging darum, ihm Raum zu lassen für eigene Erfahrungen und Reflexion. Mit etwas Ermutigung fand er seinen eigenen Weg – und machte ihn zu seinem ganz persönlichen.
Als ich Shubham so erlebte, wurde mir klar: Es gibt bestimmt noch viele andere junge Menschen wie ihn – voller Neugier, mit dem Wunsch zu reisen und zu entdecken, aber ohne Idee, wie sie anfangen sollen. Das Fahrrad wurde für uns ein Mittel der Verbindung – nicht nur mit der Natur, sondern auch mit Menschen und Gemeinschaften. Es ermöglichte es uns, mit wenig oder gar keinem Geld zu reisen, die Schönheit unseres Bundesstaates zu entdecken und Umwelt- und Sozialfragen hautnah zu erleben. Diese Art zu reisen veränderte nicht nur unsere Fortbewegung, sondern auch unsere Denkweise.
Für Shubham blieb die Reise nicht nur eine persönliche Erfahrung. Mit der Zeit erkannte er, dass viele junge Menschen, besonders aus ländlichen Regionen, aus ihren gewohnten Mustern ausbrechen und Neues erleben wollen. Er begann, seine Geschichte, seine Erkenntnisse und seine Erfahrungen zu teilen. So wurde er selbst zum Wegweiser – und zeigte anderen, dass Lernen nicht nur im Klassenzimmer stattfindet. Wirkliche Bildung geschieht oft draußen – auf der Straße, im Dorf, unter Menschen, in der Natur.
Er erkannte: Die Welt ist eine Schule. Jede Begegnung, jedes Dorf, jeder Mensch hat etwas zu lehren. Wissen steckt nicht nur in Schulbüchern – wahre Weisheit entsteht durch gelebte Erfahrungen. Inspiriert davon begannen wir auch, darüber nachzudenken, wie wir gemeinsam mehr Menschen diese Transformation ermöglichen könnten.
Heute reist und lernt Shubham nicht nur weiter – er ermutigt auch andere, es ihm gleichzutun. Was als persönliche Reise begann, ist zu etwas Größerem geworden: Es verbindet Menschen mit ihren Wurzeln, ihrer Umwelt und mit einem tieferen Verständnis für sich selbst. Für viele junge Menschen, besonders im ländlichen Raum, zeigt Shubhams Weg: Man kann träumen, reisen, lernen und wachsen – auch mit begrenzten Mitteln.
Was ich an dieser Geschichte liebe, ist: Große Veränderungen können mit etwas so Einfachem wie einem Fahrrad beginnen. Eine Reise kann Köpfe öffnen, Menschen verbinden und uns helfen, mehr über uns selbst zu lernen. Shubhams Reise steht nicht nur für ihn – sie ist für viele nachvollziehbar und inspirierend. Sie zeigt: Wenn jemand den Schritt aus seiner Komfortzone wagt und sich auf den Weg macht, wächst er – und hilft dabei auch anderen zu wachsen. Ganz sicher hat er dabei viele Erfahrungen gesammelt.
Seine Geschichte erinnert uns daran: Wahres Lernen und echte Veränderung finden draußen statt – und junge Menschen, egal woher sie kommen, können eine mitfühlendere und stärker verbundene Gesellschaft mitgestalten.
Heute studiert Shubham Sozialarbeit (Master of Social Work, MSW). Er träumt weiterhin von Fahrradtouren, um die Wurzeln von Bildung und Umweltschutz in Indien besser zu verstehen. Wir bleiben in Kontakt und teilen unsere Erfahrungen, während wir beide weiter wachsen.
Erfahre mehr über Pranalis Arbeit in der Dokumentation, die über sie und ihre Reise entstanden ist: