Seit 2016 herrscht in Kamerun ein anhaltender bewaffneter Konflikt. Politiker und Kriegsherren instrumentalisieren und verleiten Jugendliche zu gewaltsamen Handlungen. Daher engagiert sich Emmanuel Lumumba in Friedensaktivitäten zur Einbindung arbeitsloser Jugendlicher in Ndabuchiseh, einem Zentrum für die Ausbildung von Friedensstiftern. Emmanuel stammt aus dem Nordwesten Kameruns, einem der Haupt Kriegsherde. An der Universität studierte er Philosophien von Friedensaktivisten und entwickelte seine Leidenschaft für Konfliktlösung und Friedensschaffung.
von Emmanuel Tanifum Fuhbang
Wenn das Konzept von Gewalt im Geist beginnt, muss auch das Konzept von Frieden im Geist beginnen.
Immer wenn wir die Straßen von Bamenda, Buea, Kumba, Muyaka, Kumbo und Mamfe entlang gehen, werden wir nur mit Gewalt, Krieg und Tod konfrontiert. Donnernde Schüsse gehören mittlerweile zu unserem alltäglichen Hintergrundrauschen. Es handelt sich um Städte in der englischsprachigen Region Kameruns, einer krisengeschüttelten Region. Alle Kinder um mich her, haben in ihrem Leben schon oft leblose Körper von Jugendlichen sehen müssen. Es handelt sich um Körper, die entweder durch Drogen betäubt oder durch Waffengewalt getötet wurden. Sie liegen da wie vergessen, auf Gehwegen drapiert oder in Flüssen abgelegt.
Gibt es Hoffnung, dass sich dies in einigen Jahren ändern wird? Wenn ja, dann werden wir statt mit Schüssen, mit Straßenmusik beschallt. Überall wird Kunst ausgestellt und an jeder Ecke gibt es Jugendliche, die freundschaftlich und ohne Gewalt miteinander diskutieren und sich sogar engagieren.
Gewalt ist in unserer Kultur, sogar in unseren Familien an der Tagesordnung. Als Teenager war ich gefährlich nahe daran, aufgrund eines einfachen Streits um Lebensmittel getötet zu werden. Es war meine Mutter, die uns Geschwister mit Tränen in den Augen gegeneinander aufstachelte: “Oh nein! Wo sind die Bananen, die ich in der Küche aufbewahrt habe? Diese Monster haben alles aufgegessen. Oh, es ist besser zu sterben als in einer solch vergifteten Familie zu leben!” Ich eilte hin, um sie zu trösten. Aber sie weinte weiter und ich konnte es nicht ertragen, meine Mutter so enttäuscht zu sehen. Mit einem Stock machte ich mich auf, einen der “Mundräuber”, meinen Halbbruder, zu verdreschen. Doch das ging kräftig nach hinten los. Denn nun wurde ich, der ursprüngliche Jäger, zum Gejagten.
In einer kamerunischen polygamen Familie auf dem Lande, tragen Frauen oft die Hauptverantwortung für die Pflege des häuslichen Umfelds, einschließlich der Kindererziehung, der Bereitstellung von Nahrung und anderen Grundbedürfnissen.
In meinem Fall musste mein Vater vier Frauen und 19 Kinder in einem einzigen Anwesen am Leben halten, was nicht einfach war, da es oft gewaltsame Auseinandersetzungen gab. Prügeleien zwischen Halbgeschwistern waren an der Tagesordnung. Aber an diesem Tag wurde ich mit einer Machete angegriffen, so schwer, dass ich in Ohnmacht fiel und fast verblutete. Ich wurde sofort ins Krankenhaus gebracht. Als ich in der Klinik aufwachte, begann ich, kritisch zu reflektieren. Ich begann, die gesamte Situation zu hinterfragen. Was, wenn ich nicht rechtzeitig ins Krankenhaus gekommen wäre? Was, wenn ich tatsächlich gestorben wäre? Der Tod, wegen ein paar Bananen, wäre so unsinnig? Was wollte ich mit Hilfe von Gewalt erreichen? Bringt Gewalt nicht immer nur Gegengewalt hervor?
Nach diesem Vorfall entwickelte ich eine Abscheu gegen gewaltsame Konflikte. Und als ich an die Universität kam, trat ich einem Friedens- und Menschenrechtsclub bei.
Meine Art, mit Konflikten umzugehen, wurde durch die Auseinandersetzung mit weltbekannten Philosophen und Friedensaktivisten beeinflußt. Zu dieser Zeit war ich noch ein junger Mann. Ich nutzte mein Wissen, um all meine vielen Geschwister und Halbgeschwister mit Friedensideen anzustecken.
2008 gründete ich eine von Jugendlichen geführte Organisation. Eines der Ziele war, andere Jugendliche mit der Leidenschaft für Frieden zu inspirieren.
Und dann brach 2016 der Bürgerkrieg im Norden und Südwesten Kameruns aus. Ohrenbetäubende Schüsse sind jetzt an der Tagesordnung.
Ich habe mit Schrecken bemerkt, dass meine kleinen Kinder sich so sehr an diese Situation gewöhnt haben, dass sie fast spielerisch nur am Klang beschreiben können, ob die Schüsse von der Armee oder den Separatistenkämpfern stammen. Ich habe grausame Tötungen miterlebt und ich habe junge Menschen gesehen, die verstümmelt und vergewaltigt wurden. Oft wurde ich bedroht und als Geisel für Lösegeld gefangen genommen.
Darüberhinaus kenne ich viele, die erpresst wurden. Besonders in den letzten Jahren war ich Zeuge von kriegsbedingten Schulschließungen und ich habe Verbrennungen von ganzen Dörfern, Verwüstungen von Straßen und die willenlose Zerstörung von öffentlichen Gebäuden erlebt.
Krieg bedeutet immer schreckliche Menschenrechtsverletzungen. Die vielen Gewalttaten haben dazu geführt, dass Tausende von Familien fliehen und manchmal auch in den Nachbarländern Zuflucht suchen. Ich habe beobachtet, wie Politiker und Kriegsherren Jugendliche zu Gewalttaten anstacheln, radikalisieren und sogar instrumentalisieren. Und nicht zuletzt muss ich einen Teil der Schuld der polygamen Familienstruktur zuschieben. Sie sollte doch zur Einheit der Gesellschaft führen, tut aber das genaue Gegenteil. Die Gewalt, die in unserem Bürgerkrieg mit so viel Leichtigkeit von der Hand geht, wurde in unseren Familien geboren.
Mit dem Wunsch, Frieden zu schaffen, hatte ich mich zunächst entschlossen, in diesem bewaffneten Konfliktgebiet zu bleiben, obwohl mir mehrere Gelegenheiten zum Verlassen geboten wurden. Und doch werde ich jetzt das Trainingszentrum in einen friedlicheren Teil Kameruns verlegen. Denn wie soll man lernen, friedlich miteinander umzugehen, wenn Krieg der Normalfall ist?
Bei Ndabuchiseh wird es um den Aufbau eines Zentrums für Jugendliche gehen, die in der Gefahr stehen, von Kriegstreibern aufgestachelt zu werden.
Die Jugendlichen erhalten von uns über mehrere Monate ein intensives Training in gewaltloser Kommunikation, Konfliktschlichtung und allgemeinen Lebenspraktischen Fertigkeiten. Darüberhinaus bekommen sie eine Berufsausbildung ihrer Wahl. Allerdings fokussieren wir uns dabei um Berufe, die nicht an Gewalttaten erinnern. Es handelt sich also eher um soziale Berufe, in der die Sorge um Mensch, tier und Natur im Fordergrund steht.