Lehren von der Straße
von Israel Balogun
Ich erwachte abrupt, als ich den scharfen Stich eines Stocks auf meinem Rücken spürte. “Steh auf! Gib mir alles, was Du hast! Sofort!” Aber ich hatte nichts. Von den darauffolgenden Schlägen wurde ich fast ohnmächtig.
Ich war nicht immer auf der Straße. Mein Vater, ein muslimischer Priester, hatte vier Ehefrauen und 26 Kinder. Da meine Mutter dem Christentum zugeneigt war, trennten sich meine Eltern. Diese Situation war für meinen Bruder und mich hart. Wir waren uns unserer nächsten Mahlzeit nie sicher. Es wurde zur Gewohnheit, den ganzen Tag über hungrig zu bleiben. Eines Tages sah ich einige Kinder in meiner Nachbarschaft, die auf Nahrungssuche waren und Geld verdienten. Ich folgte ihnen und verdiente genug Geld, um mich satt zu essen. So begann ich, Abfälle zu sammeln und sie zu verkaufen, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Im Alter von 10 Jahren begann ich auf der Straße zu leben. Meine erste Nacht dort war die Hölle. Nachdem ich eine Unterkunft bei anderen Straßenkindern gefunden hatte, war ich mir der nächtlichen Überfälle der älteren Jungen nicht bewusst. Sie kamen und verlangten Geld. Da ich nichts hatte, wurde ich so sehr geschlagen, dass ich fast ohnmächtig wurde. Ein Junge setzte sich für mich ein und versprach, am nächsten Tag Geld für sie bereitzuhalten.
Ich hatte nur zwei Möglichkeiten: Weglaufen oder stehlen. Weglaufen würde den Ärger nur hinauszögern. Denn das Gleiche wird sich, solange ich auf der Strasse bin, wiederholen. Stehlen war die einzige Möglichkeit für mich.
Ich raubte einen Bettler aus und fand eine Menge Geld in seiner Tasche. In dieser Nacht wurde ich zum König der Straße ernannt, weil ich mit dem Geld, das ich gestohlen hatte, alle älteren Jungs auszahlen konnte. Die Straße hieß mich willkommen!
Durch diese Erfahrung lernten ich und einige andere ein anderes Handwerk kennen: das Stehlen von Bettlern. Wir bildeten eine Bande, deren Anführer ich wurde. Ich wurde sehr gewalttätig. Ich schlug und stach schon bei der kleinsten Provokation auf Menschen ein. Viele von uns wurden an Drogen und Straßenkämpfe herangeführt.
Ich erinnere mich an meinen ersten Drogenkonsum. Die Welt stellte sich auf den Kopf und ich konnte meine Beine nicht mehr bewegen. Das war mein letztes Mal. Aber das war nicht für alle der Fall, einige nahmen weiter Drogen, und viele wurden zu bewaffneten Räuber und Vergewaltiger.
Unsere Gang wurde oft angeheuert, um für andere zu kämpfen. Einmal wurden wir in eine Schule eingeladen, um gegen eine Gruppe zu kämpfen. Das war ein dunkler Tag für uns. Wir wurden von einer anderen Bande erbarmungslos verprügelt und ich erlitt mehrere Verletzungen. Die Wunden konnte ich nicht behandeln lassen und versuchte, die Wunden mit Kleidern zu bedecken. Aber über mir schwebten Fliegen.
Wir zogen von einem Ort zum anderen und versteckten uns vor den Leuten, die wir bekämpften. Das Leben auf der Straße wurde immer anstrengender. Obwohl ich das Haus meiner Familie kannte, kehrte ich nicht dorthin zurück, da dort nichts mehr war. Meine Mutter hatte das Haus verlassen, meine Geschwister waren umgezogen und mein jüngerer Bruder und ich lebten auf der Straße. Bis heute weigert sich mein Bruder, die Straße zu verlassen.
Ich hasste mein Dasein, ich wollte alles beenden. Den Schmerz und die Einsamkeit, die ich damals empfand, kann ich bis heute nicht vergessen. Als ich sah, wie andere Kinder von ihren Eltern verwöhnt und umsorgt wurden, dachte ich mir: “Warum kann ich nicht einfach ein Kind sein und eine geliebte Person haben, die sich um mich kümmert? Stattdessen bin ich ganz allein.“
An einem dieser Tage kam ein Mann auf mich zu. Er unterhielt sich lange mit mir und fragte, ob ich wieder in die Schule gehen wolle. Ich habe schnell zugesagt und er nahm mich mit zu seinem Haus.
Zum ersten Mal seit vielen Jahren schlief ich in einem Zimmer mit geschlossener Tür und hatte jemanden, der für mich kochte. Aufgrund der finanziellen Lage des Mannes war er aber nicht in der Lage, meine Ausbildung zu finanzieren.
Mit 22 Jahren konnte ich weder lesen noch schreiben, nicht einmal meinen Namen buchstabieren. Ich beschloss, nach Lagos umzuziehen. Morgens fuhr ich Motorrad-Taxi, um etwas Geld zu verdienen. Abends besuchte ich Kurse bei Privatlehrern. Später gelang es mir, mich niederzulassen.
Während dieser Zeit konnte ich den Anblick von Straßenkindern nicht ertragen. Ich konnte mich gut in ihre Kämpfe hineinversetzen und beschloss, sie nach Möglichkeit alle zu retten. Straßenkindern und Jugendlichen dabei zu helfen, ihre Bestimmung zu finden, wurde zu meiner Leidenschaft.
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