Mikrokredite, Verheißung oder Geschäft mit der Armut?
Teil 3 von Sabriye Tenberken
Warum bevorzugen männliche Kreditgeber eigentlich Frauen als Kreditnehmende?
Handelt es sich hier um eine Revolution des Finanzwesens, um einen grundlegenden Geisteswandel oder steckt der Teufel tief verborgen in des Bänkers Aktentaschen?
Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir versuchen, uns in die Mentalität der Mikrobänker hinein zu versetzen.
Wer benötigt traditionellerweise Kredite? Unternehmerische Persönlichkeiten, die entweder eine Geschäftsidee umsetzen wollen oder ein bereits existierendes Business auszubauen gedenken und dafür ein Startkapital benötigen.
Bis 1983, also bis zur Gründung der Grameen Bank durch den Ökonom Muhammad Yunus, waren die Nutznießer überwiegend gebildete Männer aus dem Mittelstand oder aus der Oberschicht, die einen Business-Plan vorlegen mussten. Man sah Geschäftstüchtigkeit und Risikobereitschaft eher als männliche Qualitäten an und hielt so Frauen von Finanzdienstleistungen bewusst oder unbewusst fern. Seit den 80iger Jahren scheint sich diese Einstellung allerdings geändert zu haben. Für die weltweit hunderte milliardenschwere Mikrofinanz-Industrie geht es bei der neuen Zielgruppe um wahre Erfolgsgaranten, um die Ärmsten der Armen, um Frauen aus der Unterschicht, die vor dem Grameen-Zeitalter niemals Zugang zu einer Finanzdienstleistung gehabt hätten. Heute aber, unter dem Label der “finanziellen Inklusion“, steht für die Frauen die Tür zu Mikrobanken weit offen. Und nicht nur das, man bittet sie sogar hinein und scheut keine Mühen, ihnen eine “Finanzhilfe“ als Sprungbrett aus der Armut schmackhaft zu machen.
Zur näheren Erklärung: Not macht erfinderisch. Wir alle haben das irgendwann einmal erlebt. In der Krise gelingt es uns plötzlich, unerkannte Potentiale zu aktivieren. Wir sind wach, wehrhaft und widerstandsfähig und wir sind in der Lage, kreative Lösungen für alte und neue Probleme zu finden. Allerdings sind wir in schwierigen Zeiten auch sehr verletzlich und greifen nach jedem Strohhalm, der uns hingehalten wird, ohne abzuwägen, ob die Hilfestellung uns nicht noch tiefer in die Misere zwingt. Beides, sowohl Erfindungsgabe als auch Bedürftigkeit kommt dem Geschäft mit den Mikrokrediten entgegen.
“Werden Frauen zu Müttern, haben Kinder und Haushalt Priorität.“
In patriarchalen Strukturen, und die meisten Kulturen dieser Welt sind patriarchal, mögen diese Eigenschaften, die man Frauen und besonders Müttern nachsagt, schon stimmen. Warum auch nicht. Die Frau und Mutter hat oft keine andere Wahl als genau so zu sein wie man es von ihr erwartet. Sorgenvolle Aufopferung, selbstloses Verantwortungsgefühl, das Bedürfnis, es allen recht machen zu wollen, sind nämlich nicht nur wichtig, wenn es darum geht, Kinder großzuziehen oder einen Ehemann bei Laune zu halten. Es sind, wer hätte das gedacht, Eigenschaften, die zur perfekten Mentalität einer kreditwürdigen Persönlichkeit gehören.
Ganz anders bei den männlichen Kreditnehmern, die in der Regel weniger Angst vor dem Druck von außen haben und scheinbar auch gut damit leben können, in der Schuld von anderen zu stehen. Frauen sind also von ihrer Sozialisation her die geeigneteren Schuldnerinnen. Nicht ihre kluge Geschäftspraxis, wo sollen sie das auch gelernt haben, sondern ihre anerzogene Gewissenhaftigkeit ist der Garant für die Rückzahlung.
Darüber hinaus gibt es noch andere Eigenschaften, die Frauen zur beliebten Zielgruppe machen.
Gerhard Klas zitiert in seinem Aufsatz, Mythos Mikrokredit, einen ehemaligen Manager der Grameen Bank, Sardar Amin. Hier heißt es: Frauen seien leichter greifbar und weniger mobil.
Die oft angewandte zusätzliche Hilfe, die Kleinkreditnehmende bekommen, ist die Zuteilung in eine “Haftungsgrupppe“ oder auch “Solidaritätsgruppe“. Es handelt sich dabei um fünf bis zehn Kreditnehmende, die sich gegenseitig beim Aufbau einer eventuellen Geschäftsidee und natürlich bei der Kredit-Rückzahlung unterstützen sollen. Aber hier fängt es an, zu menscheln.
Teh Francis, ein 2016 kanthari Absolvent, war einer der ersten, der Mikrokredite nach Kamerun brachte. Mittlerweile hat er sich von der Praxis abgewandt und geht stattdessen einen für mich überzeugenden alternativen Weg, den ich im vierten Teil dieser Reihe beschreiben werde.
Seine Vorbehalte haben unter Anderem mit den sog. “Solidaritätsgruppen“ zu tun. Er machte die Erfahrung, wie der Druck, in der Schuld einer externen Organisation, der MFI (Mikro-Finanz-Institution) zu stehen, sich sehr negativ auf die gesamte Gruppe übertrug. Die Konsequenzen waren nicht Solidarität oder Zusammenhalt, sondern interner Psychoterror. Es blieb nicht dabei, dem zahlungsunfähigen Gruppenmitglied ins Gewissen zu reden. Es ging von Mobbing bis zum Ausschluss und wenn all das nicht half, dann blieb nur noch: “rette sich wer kann!“. Einige der Frauen verschwanden spurlos. Sie ließen ihre Familien zurück in der Annahme, dass die Schulden mit ihrem eigenen Verschwinden getilgt seien. Laut Teh gehören die Frauen, die nicht zurückgezahlt haben, zur Minderheit. Aber auch er ist der Meinung, dass zu große gesundheitliche und psychische Opfer gebracht werden mussten, um die Verträge mit der jeweiligen MFI einhalten zu können.
Und schließlich gibt es nachweislich das Phänomen, dass eine große Anzahl von Frauen Kredite für ihre Ehemänner beantragen. Die kaufen sich dafür Konsumgüter wie Motorräder und Fernseher, und wieder bleibt nichts übrig für die gesunde Ernährung und für die Bildung der Kinder.
“Die Emanzipation der Frau erfolgt nicht einfach durch finanzielle Unabhängigkeit.“ Erklärte mir Tosin, eine nigerianische kanthari Absolventin von 2013.
“Meine Mutter hatte mir immer gesagt: mach eine gute Ausbildung und finde einen gutbezahlten Job, dann, nur dann wirst Du niemals Opfer von häuslicher Gewalt werden.“ Tosin befolgte den Rat ihrer mutter. Sie studierte und bekam einen gutbezahlten Job. Und trotzdem wurde sie von ihrem Ehemann krankenhausreif geschlagen.