Ein unzerbrechliches Band
– Von Bibek Magar
Ich war nervös und ein wenig ängstlich, als ich Chandra in einem belebten öffentlichen Park traf, nachdem wir einige SMS hin und her geschickt hatten. Er war der erste schwule Mann, den ich mit 18 Jahren begegnen durfte. Durch seine charmante und humorvolle Art machte Chandra mir klar, dass mit mir alles in Ordnung sei; ich war schwul und hatte das Recht auf ein Leben ohne Diskriminierung. Es war der glücklichste Moment in meinem Leben.
Im Gegensatz zu der in Nepal üblichen Familienkultur mit klaren Rollenbildern, zwangen unsere Eltern uns nicht, wie typische Jungen oder Mädchen zu sein.
Ich war ein sorgloses, glückliches Kind, das wie meine Freundinnen mit Puppen spielte und wie die Bollywood-Heldin Rani Mukerji in dem Lied “Kuch Kuch Hota Hai” tanzte, während ich mit dem bunten Schal meiner Mutter wedelte.
Meine Großeltern und meine Eltern waren beide revolutionäre Maoisten, die die Regierung bekämpften. Ich erinnere mich noch gut daran, wie mein Vater und mein Großvater über Themen wie die Kluft zwischen Ober- und Unterschicht, den Kastenzwang zwischen Brahmanen und Dalits und die Janjati (einheimische Gemeinschaften wie wir) diskutierten.
Ich erinnere mich auch lebhaft daran, dass mein Vater mich Nachts besuchte, wenn es sicher war. Er umarmte mich immer mit all seiner Wärme und Liebe, die ich noch heute spüre. Eines Abends kam mein Vater mit Kleidung und Süßigkeiten. Das sollte unsere letzte Begegnung sein. Bald darauf, als ich gerade 10 Jahre alt war wurde er von Streitkräften der Regierung umgebracht. Meine Mutter war am Boden zerstört. Sie weinte nachts, wenn sie dachte, wir würden schlafen. All diese Umstände machten mich einfühlsam, ich konnte meine Gefühle ausdrücken und verstand die Stärke und Kraft der Frauen. Selbst nachdem sie meinen Vater getötet hatten, hörte die Regierung nicht auf, meine Mutter zu schikanieren. Auf Anraten unserer Großeltern reiste sie schweren Herzens nach Kathmandu. Meine kleine Schwester und ich wurden dann von meinen Urgroßeltern aufgenommen. Aus dem dürren Jungen wurde ein pummeliger Junge, weil sie mich so gerne fütterten. Gleichzeitig wurde ich zu ihrer Lebensassistenz. Ich räumte ihre Bettpfannen ab, badete sie und wusch ihre Wäsche, vor allem, wenn sie krank waren. Wir sind uns emotional sehr nahegekommen. Ich glaube, ich war ihr liebstes Enkelkind, auch wenn meine Schwester etwas anderes behaupten würde.
Außerhalb meines liebevollen Zuhauses hörte ich jeden Tag abfällige Worte wie “Chhakka” oder “Hijda”. Das tat weh, und ich schämte mich für das, was ich war. Normalerweise kamen diese abfälligen Worte von einer Gruppe von Machojungen, die in meinem Viertel herumhingen. Ich musste all meinen Mut zusammennehmen, um an ihnen auf der Straße vorbeizugehen. Und es waren nicht nur sie, auch Fremde beschimpften mich aufgrund meiner Art zu gehen, meiner Gestik und die Art wie ich spreche.
Verwirrt über meine Gefühle und meine gleichgeschlechtliche Anziehung betete ich jeden Abend vor dem Einschlafen zu Gott, er möge “meine Neigung und mein mädchenhaftes Verhalten ändern”. Wenn ich aufwachte, versuchte ich, mich so zu fühlen und zu verhalten, als hätte sich alles geändert, aber das war nur meine Einbildung. Das führte zu Frustration und ich verfluchte Gott dafür, dass er mich so gemacht hatte.
Im Alter von 18 Jahren kam ich nach Kathmandu, um dort zu studieren, aber tief in meinem Inneren wollte ich den diskriminierenden Dorfbewohnern entkommen, die mich oft demütigten.
Und dann lernte ich Chandra kennen. Seitdem habe ich mehrere Menschen aus der Gemeinschaft kennengelernt, die sich für unsere Rechte und die Stärkung unserer Selbstbestimmung einsetzen. Allmählich baute ich ein starkes Netzwerk innerhalb der Gemeinschaft auf und war begierig darauf, mehr über sie zu erfahren. Mir wurde bald klar, dass es in der Gemeinschaft mehrere Probleme gab. Aber ein Ereignis stach für mich heraus.
Ich habe einmal an einer Veranstaltung für trans- und drittgeschlechtliche Frauen teilgenommen, an der viele LGBTIQ+ Menschen beteiligt waren. Ich erinnere mich deutlich an den Moment, als die jüngeren Teilnehmer Witze machten und sich über das Aussehen der älteren Menschen lustig machten. Ich fühlte so sehr mit meinen Großeltern mit und deshalb war es umso schmerzhafter, all das zu hören. Dies waren einige der ersten Beispiele von vielen, die die Diskriminierung älterer LGBTQI+ Menschen innerhalb ihrer eigenen Gemeinschaft zeigten.
Der Selbstmord von fünf älteren Mitgliedern meiner neuen Gemeinschaft während der Pandemie bestärkte mich in meinem Entschluss, mit ihnen zu arbeiten. Wann immer ich ältere LGBTIQ+-Personen sehe, erinnern sie mich an meine unzerstörbare Verbindung zu meinen Urgroßeltern, die mich immer mit den Worten “Thulo Thulo Manxe Hunu” segneten: “Werde eine Kraft für das Gute im Leben.”
Mit meiner Organisation “Queer Nepal” möchte ich ein psychisch gesundes Umfeld für LGBTIQ+ Menschen über 40 Jahren schaffen, indem ich zugängliche und spezifische psychische Gesundheitsdienste, Workshops, verschiedene Arten von Beratung, Unterstützung für den Lebensunterhalt und Lobbyarbeit für die psychische Gesundheit von LGBTIQ+ Menschen anbiete.