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Niwas Kumar - Anantmool

anantmool india

    Niwas Kumar stammt aus Bihar im Norden Indiens und befasst sich mit einem ziemlich heiklen Thema: es geht um die Frage, “brauchen wir Geschlechter-Normen?”

    Die indische Kultur ist durchsetzt von Normen, die entweder dem einen oder dem anderen Geschlecht zugeordnet sind.

    Von frühester Kindheit an ist jeder Aspekt täglicher Aktivitäten klar auf Mädchen oder Jungen, Männer oder Frauen zugeschnitten.

    Es hängt vom Geschlecht ab, mit wem man spielen darf, wo man im Bus oder in der Kantine zu sitzen hat und welche Berufe man ausüben soll. Kinder werden in der Schule diskriminiert, wenn sie nicht den Normen entsprechen. Niwas fragt sich, warum das Geschlecht schon in der Kindheit und in der Schule so wichtig ist.

    Mit seiner Organisation Anantmool will er ein Lernzentrum gründen, das bewusst keine Unterschiede in den Geschlechtern zulässt. Er ist davon überzeugt, dass jeder alles lernen kann, wenn es keine sozialen und besonders keine geschlechterspezifischen Barrieren gibt.

     


    Im Alter von vier Jahren, wenn Kinder normalerweise mit Puppen oder Autos spielen, zum Kindergarten gehen und von ihren Familien verwöhnt werden, nahm ich mit meiner Mutter an einer Schulung für Kleinstunternehmen teil. In meinem Dorf hatten wir eine Schule mit nur einer Lehrerin, die dort kaum zu sehen war. Ich war auch kaum zu sehen, denn während meiner Grundschulzeit verbrachte ich meine Zeit mit meiner Mutter auf Reisen.

    Wir zogen von Dorf zu Dorf und von Stadt zu Stadt, alles, um für mich eine gute Ausbildung zu finden, aber wir hatten keinen Erfolg.

    Meine Mutter ist Aktivistin, die gegen Korruption kämpft. Daher wurde meine Familie bedroht, und meine Eltern verloren ihre Arbeit. Das war dann auch das Ende für meine Schullaufbahn, denn ich musste ja arbeiten, um unseren Unterhalt zu decken. Damals war ich gerade 12 Jahre alt.

    In dieser Zeit lernte ich jemanden kennen, der mir helfen wollte, ein Geschäft aufzuziehen. Aber ich wollte lieber erst einmal etwas lernen. Unter seiner Anleitung schloss ich mich einer Organisation namens i-Saksham an, wo ich 18 Stunden am Tag arbeiten musste. Allerdings konnte ich mir da alle Fähigkeiten, die ich brauchte, ein Unternehmen zu leiten, aneignen. Nebenher machte ich meinen Bachelor-Abschluss an einer Universität.

    Um mehr praktische Erfahrungen zu machen, nahm ich an der Jagriti Yatra (der längsten Zugreise der Welt für junge Sinnsucher) teil und bekam später die Gelegenheit, bei der Organisation “Project Potential” Unternehmer aus ländlichen Regionen auszubilden.

    Im Alter von 17 bis 21 Jahren hatte ich die Möglichkeit, 150 Trainer und 200 Schüler im Computerbereich auszubilden. 23 Unternehmern konnte ich helfen, selbstständig zu werden. Während dieser Zeit entwickelte ich großes Interesse für offene Lernformen und für alternative Schul-konzepte.

    Im Jahr 2019, während meines Masterstudiums, setzte ich mich mehr und mehr mit Themen der Geschlechter Ungerechtigkeit auseinander.

    Damals begegnete ich auf einer Zugfahrt einer Transfrau, die in schwarzen Jeans und einem T-Shirt ziemlich schick aussah, aber um Geld bettelte. Ich hielt sie an und fragte: “Warum bettelst du? Warum hast du keinen normalen Job?” Sie blaffte: “Wer will mir denn schon einen Job geben? Du vielleicht?”

    Ich konnte dazu nichts entgegnen, aber sie blieb dran: “Was machst du denn überhaupt?”

    Ich erzählte, ich sei für Forschungsarbeiten nach Uttarakhand unterwegs.

    “Okay,” meinte sie flapsig. “Warum forschst du dann nicht mal über mich?” Und dann wurde sie richtig gesprächig: “Finde doch mal heraus, warum mich Gott so gemacht hat. Und wenn Gott sich dabei etwas gedacht hat, warum akzeptieren mich die Leute nicht so wie ich bin?”  Damit ließ sie mich allein zurück und mir hatte es für eine Zeit lang die Sprache verschlagen.  Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

    Aber etwas veränderte sich in mir und ich erinnerte mich an eine Begebenheit aus meiner Kindheit, als ich 7 Jahre alt war. Meine Mutter hatte mir im Zug die Augen geschlossen, als eine Transfrau vorbeikam. Meine Mutter sagte, dass diese Frau keine Frau sei, dass sie einen Saree trage, nur um Geld zu betteln.

    Ich begann, mich mit dem Thema Transgender zu beschäftigen und fand heraus, dass die Transgender-Gemeinschaft, die am stärksten von geschlechtsspezifischer Diskriminierung betroffene Randgruppe in Indien ist. Es handelt sich um eine der am meisten vernachlässigten Gemeinschaften, die kaum Zugang zu öffentlichen Diensten hat.

    Damals gründete ich eine Gruppe von fünf Studenten und begann, Ausstellungen zu organisieren, um die Menschen auf die Geschlechtervielfalt aufmerksam zu machen.

    Eines Tages erhielt eines unserer Gruppenmitglieder einen Anruf von einem 17-jährigen Trans-Mädchen aus Delhi. Sie erzählte, wie ihre Familie sie wegen der Transidentität bedrohe. Es war ein Hilferuf und wir waren bereit, sie da rauszuholen. Alles war geplant. Doch an dem Tag, an dem es passieren sollte, sie war schon früh morgens ausgebrochen, ging nach wenigen Minuten die Nachricht ein, sie sei von ihrer Familie erwischt worden. Dann brach der Kontakt abrupt ab und seit Dezember 2019 war sie verschwunden.

    Das war ein wichtiger Wendepunkt in meinem Leben. Ich beschloss, keine andere Arbeit mehr zu machen, sondern mich darauf zu konzentrieren, einen Raum zu schaffen, in dem Kinder und Jugendliche frei von jeglichen Geschlechternormen leben können. Nachdem ich mehr gelesen und mit vielen Trans-Personen gesprochen hatte, wurde mir klar, dass wir Bildung in einem geschlechtsfreien Raum anbieten müssen, damit diejenigen, die unter Geschlechtsdysphorie leiden, in die Lage versetzt werden, sich selbst in die Gesellschaft zu integrieren.


    Niwas wird seinen kanthari TALK am Freitag, den 17. Dezember 2021 um 17:10 Indian Standard Time präsentieren. (13:40 EST)
    Weitere Informationen über die kanthari TALKS finden Sie unter http://www.kantharitalks.org/

     

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